Fatigue: Syndrom der Erschöpfung
Fatigue-Syndrom ist ein Begriff für die Gesamtheit verschiedener Symptome, die oft im Zuge chronischer Erkrankungen gemeinsam auftreten können. Fatigue ist keine eigenständige Erkrankung und damit vom Chronischen Erschöpfungssyndrom abzugrenzen.
Bei bestimmten chronischen Erkrankungen, allen voran Krebskrankheiten, hört man immer wieder, dass die erkrankten Personen von sogenannter Fatigue – also einer Form der Müdigkeit – betroffen sind. Dabei handelt es sich weder um ein einzelnes Symptom noch um eine eigenständige Krankheit. Fatigue wird daher auch als Fatigue-Syndrom oder Erschöpfungssyndrom bezeichnet, weil hier mehrere Faktoren zusammenkommen.
Überblick: Fatigue
In dem Artikel zum Thema „Fatigue“ finden Sie Antworten auf die folgenden Fragen:
- Was ist Fatigue?
- Welche Arten von Fatigue gibt es?
- Welches Hauptsymptom tritt bei Fatigue auf?
- Welche anderen Symptome können mit Fatigue einhergehen?
- Welche Auslöser gibt es für Fatigue?
- Welche Ursachen stecken hinter Fatigue?
- Warum sind Frauen öfter von Fatigue betroffen?
- Was hat Fatigue mit Krebs zu tun?
- Wie wird Fatigue behandelt und therapiert?
- Wie diagnostizieren Ärzt:innen Fatigue?
- Wofür braucht man ein Fatigue-Tagebuch?
- Mit welchem Verlauf und welcher Prognose muss man bei Fatigue rechnen?
Definition: Was genau ist Fatigue?
Das Wort „Fatigue“ kommt aus dem Französischen und beutetet so viel wie „Müdigkeit“ bzw. „Erschöpfung“. Fatigue ist ein sehr weitläufiger Begriff, der medizinisch nicht gänzlich klar definiert ist. Einerseits wird er gleichbedeutend mit „Müdigkeit“ verwendet, andererseits gilt er im Zusammenspiel mit „Syndrom“ als die Gesamtheit verschiedener Beschwerden, die mit bestimmten Erkrankungen im Zusammenhang stehen. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin empfiehlt die Kodierung des Symptoms mittels ICD-10 und dem Code R 53. Dieser Code steht für „Unwohlsein und Ermüdung“. Anders als die Chronische Erschöpfung hat das Fatigue-Syndrom damit keine eigene ICD-Diagnose.
In einem breiten Teil der Fachwelt ist aktuell weiterhin die Fatigue-Definition von Dr. David Cella gängig, die von dem Arzt in den 1990er-Jahren aufgestellt wurde. Er beschreibt Fatigue als einen Zustand, bei dem eine überdurchschnittliche Müdigkeit mit einem extrem gesteigerten Bedürfnis nach Ruhe und gleichzeitigem Energiemangel einhergeht. Dabei nennt er die Unverhältnismäßigkeit der Müdigkeit zur vorangegangenen Tätigkeit als besonderes Zeichen.
Welche Arten von Fatigue gibt es
Fatigue kann in drei verschiedene Arten eingeteilt werden:
Fatigue bei chronischer Erkrankung | Es gibt eine Reihe chronischer Krankheitsbilder, bei denen Fatigue als Syndrom häufig auftritt. Dazu gehören beispielsweise allen voran Krebs, aber auch Multiple Sklerose, HIV/Aids, Fibromyalgie, Rheumatische Arthritis. |
Fatigue als Umstandsfolge | Fatigue kann auch als Folge verschiedener anderer Umstände auftreten. Zu solchen Umständen können beispielsweise chronische Schmerzen, starke Schlafstörungen und Erkrankungen der Schilddrüse gehören. |
Fatigue als eigenständiges Krankheitsbild | Wenn Fatigue als eigenständige Krankheit genannt wird, ist vom Chronischen Erschöpfungssyndrom die Rede. Dabei handelt es sich um eine biologische Erkrankung, die oft infolge starker viraler Infektionen, wie zum Beispiel nach einer Covid-Erkrankung, entsteht |
Hauptsymptom von Fatigue: Anhaltende Müdigkeit
Das Hauptsymptom des Fatigue-Syndroms ist, wie der Begriff schon sagt, die Müdigkeit. Allerdings ist damit keine erklärbare Müdigkeit gemeint. Wer sich gegen eine schwere Erkrankung stemmt oder fordernde Behandlungen aushalten muss, ist aus nachvollziehbaren Gründen müde. Diese angebrachte Müdigkeit lässt sich durch guten sowie ausreichenden Schlaf und genügend Erholungsphasen ausgleichen. Bei Fatigue sieht das hingegen anders aus: Die Müdigkeit bessert sich nicht durch Schlaf oder Pausen. Sie ist außerdem wesentlich stärker als es in Anbetracht der zuvor getätigten Aktivitäten angebracht wäre. Leitsymptom des Fatigue-Syndroms ist also die extreme, unverhältnismäßige Müdigkeit bei gleichzeitigem Energieverlust.
Weitere Fatigue-Symptome
Beim Fatigue-Syndrom kommt es meist nicht nur zu Müdigkeit, sondern zu einem gemeinsamen Auftreten verschiedener Symptome. Dazu können folgende Beschwerden gehören:
- Schwäche
- Schweres Gefühl in Armen und Beinen
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Aufmerksamkeitsverminderung
- Kurzzeitgedächtnisprobleme
- Motivationsverringerung
- Verlust von Interesse an Alltagstätigkeiten
- Schlafveränderungen (übermäßiger Schlaf oder Schlaflosigkeit)
- Kein erholtes Gefühl nach dem Schlaf
- Emotionale Veränderungen (Reizbarkeit, Traurigkeit, …)
- Lang andauerndes Unwohlsein nach Belastungen
Auslöser von Fatigue
Man geht mittlerweile davon aus, dass ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren daran beteiligt ist, Fatigue auszulösen. Diskutiert werden derzeit beispielsweise
- Veränderungen im Hormonsystem
- Nervensystemveränderungen (ZNS)
- Störungen in der Regulation des Immunsystems
- Entzündungsprozesse
Was sind die Ursachen von Fatigue?
Wie beim Auslösen von Fatigue ist auch bei der Ursache nach aktueller Forschung kein alleinstehendes Merkmal zu finden. Allerdings gibt es zahlreiche Hypothesen und Überlegungen, welche Ursachen dem Problem zugrunde liegen. Man geht jedenfalls davon aus, dass mehrere Faktoren sowie verschiedene Ursachen im Zusammenspiel das Phänomen entstehen lassen. Dazu gehören:
- Eine zugrundeliegende Krankheit (z. B. Krebs, Fibromyalgie, Multiple Sklerose oder aber auch als akute Folge viraler Infekte, …)
- Notwendige Behandlungsmaßnahmen (Bestrahlung, Operationen, Immuntherapie, Chemotherapie, …)
- Hormonelle Mangelerscheinungen
- Chronisches Infektionsgeschehen
- Ernährungsbedingte Mangelerscheinungen
- Abbau von Muskeln im Zuge von Bewegungsmangel
- Schlafprobleme
- Faktoren der Psyche wie Ängste, Stress oder depressive Zustände, die als Folge einer Grunderkrankung auftreten können.
Frauen und Fatigue
Frauen scheinen ein generell höheres Risiko zu haben, von Syndromen und Erkrankungen betroffen zu sein, die mit Fatigue einhergehen. Beispielsweise zeigen Daten aus Norwegen konkret, dass Frauen rund 3-mal häufiger vom Chronischen Fatigue Syndrom betroffen sind als Männer. Auch von Long Covid und der damit häufig einhergehenden Fatigue sind Frauen deutlich öfter betroffen. Eine mögliche Begründung dafür konnten Untersuchungen der Universität Iowa liefern, bei denen Forschende herausgefunden haben, dass männliche Mäuse durch eine bestimmte Kombination von Testosteron und einem speziellen Protein vor Fatigue und Schmerzen in den Muskeln besser geschützt sind als weibliche Mäuse.
Fatigue bei Krebserkrankungen
Fatigue kann eine Begleiterscheinung vieler verschiedener Erkrankungen sein. Dazu zählen etwa Multiple Sklerose, Parkinson oder Rheumatoide Arthritis. Besonders verbreitet ist das Syndrom der Fatigue als Begleiterscheinung allerdings vor allem bei Krebspatient:innen. Rund 90 Prozent sind im Zuge der Tumortherapie von Fatigue betroffen. Die „Deutsche Fatigue Gesellschaft“ nennt Zahlen, wonach auch im Anschluss an die Krebsbehandlung 20 bis 50 Prozent der Betroffenen Fatigue bemerken. Auch bei Krebserkrankungen ist die genaue Entstehung von Fatigue bisher noch nicht geklärt. Wie bei den weiter oben angeführten Möglichkeiten wird auch bei Krebs von einer multifaktoriellen (durch mehrere Faktoren begründeten) und multikausalen (aus mehreren Gründen bestehenden) Entstehung von Fatigue ausgegangen. Dazu gehört einerseits die Tumorerkrankung selbst genauso wie die fordernden Therapien oder Veränderungen im Blutbild und psychologische Faktoren.
Wie wird die Diagnose bei Fatigue gestellt?
Müdigkeit kann als Symptom im Zuge vieler verschiedener Krankheiten auftreten. Dazu können banale Infekte wie Erkältungen oder eine Grippe genauso gezählt werden wie ernstzunehmende Herzkrankheiten und andere Erkrankungen. Daher ist es wichtig, dass vor der Diagnose „Fatigue“ einmal ärztlich abgeklärt wird, ob nicht eine andere infrage kommende Erkrankung oder Störung vorhanden ist. Um dies zu erfassen, werden verschiedene körperliche Untersuchungen notwendig, wie beispielsweise die Analyse von Blut im Labor oder auch fachärztliche Gespräche und Untersuchungen. Neben den organischen Ursachen sollte bei der Diagnose auch darauf geachtet werden, ob es durch unzureichende Ernährung möglicherweise bestehende Mangelerscheinungen gibt, die sich anteilig an den Symptomen beteiligen könnten.
Die tatsächliche Fatigue-Diagnose hängt dann unter anderem von der ursächlichen Erkrankung ab, durch die Fatigue entstanden ist. Dafür gibt es verschiedene Fragesysteme und Skalen zur Einordung der Schweregrade. Bei Multipler Sklerose (MS) wird beispielsweise die sogenannte Modified Fatigue Impact Scale (MFIS) zur Messung herangezogen. Auch die Fatigue Severity Scale (FSS) ist ein bekanntes Messinstrument. Handelt es sich bei der Grunderkrankung um Krebs, so wird die Diagnose für tumorbedingte Fatigue nach Cella gestellt, wenn:
- Die Symptome Leidensdruck hervorrufen und Betroffene im Alltag stark beeinträchtigen
- Stark unverhältnismäßige Müdigkeit und Energieverlust auftreten
- Die Symptome nicht durch eine Depression, somatoforme Störungen oder ein Delirium erklärbar sind
- Wenn mindestens 6 der folgenden Symptome im vergangenen Monat (fast) täglich innerhalb von zwei Wochen aufgetreten sind.
Symptomliste nach Cella
- Gliederschwere/Schwäche allgemein
- Verminderte Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit
- Weniger Motivation und weniger Interesse an Aktivitäten des Alltags
- Schlafveränderungen wie mehr Schlaf oder auch Schlaflosigkeit
- Nicht regenerativer und nicht erholsamer Schlaf
- Um aktiv zu werden, braucht es starke Anstrengungen
- Emotionale Reaktionen wie Frust, Gereiztheit oder Traurigkeit
- Schwierigkeiten beim Kurzzeitgedächtnis
- Probleme bei der Erledigung von Alltagsaufgaben
- Nach Belastungen kommt es zu Unwohlsein, das über Stunden anhält
Fatigue-Tagebuch
Für eine Fatigue-Diagnose kann es hilfreich sein, über einen bestimmten Zeitraum Aufzeichnungen der die eigenen Müdigkeitssymptome vorzunehmen. Ein Symptom-Tagebuch bzw. ein Fatigue-Tagebuch kann Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt bei der Abklärung und der Behandlung der Müdigkeit wichtige Informationen geben.
Behandlung: Was kann man gegen Fatigue tun?
Die Behandlung von Fatigue richtet sich sowohl nach der Ursache als auch nach bewährten Therapie-Methoden in Kombination mit der individuellen Geschichte der Betroffenen. Entsteht Fatigue beispielsweise aufgrund einer organischen Problematik, kann man mit entsprechenden Medikamenten oder Behandlungen etwas gegen Fatigue tun. Bei Fatigue aufgrund einer Mangelernährung kann gezielte diätische Beratung und Therapie hilfreich sein. Wird Fatigue durch eine Blutarmut hervorgerufen, kann mit Hormonpräparaten oder in sehr ausgeprägten Fällen mit Bluttransfusionen das ursächliche Problem behandelt werden.
Für konkrete Behandlungsmöglichkeiten und potenzielle Therapie bei Fatigue im Zuge einer Krebserkrankung können laut der Deutschen Fatigue Gesellschaft folgende Behandlungen zum Einsatz kommen:
- Körperliches Training: Ein an die eigenen Möglichkeiten angepasstes körperliches Bewegungstraining kann Fatigue verbessern. Wichtig dabei ist: Nicht zu viel des Guten tun – Anstrengungen können das Fatigue nämlich auch verschlechtern.
- Psychoonkologie: Informative und psychotherapeutische Verfahren, die sich mit den emotionalen und sozialen Themen beschäftigen, die im Zuge der Erkrankung auftreten.
- Mind-Body-Verfahren: Dabei geht es um die Verbindung von Körper, Geist und Seele im Hinblick auf Behandlungsansätze, die Achtsamkeit und Selbstfürsorge in den Vordergrund rücken. Dazu gehören beispielsweise Autogenes Training, gezielte Entspannungsübungen oder Meditation.
- Medikamente: In der medikamentösen Therapie von Fatigue geht es vor allem darum, die verstärkenden Faktoren durch unterstützende gezielte Arzneimittelgabe zu behandeln. In einigen Fällen (siehe oben) können Medikamente auch ursächlich zur Anwendung kommen.
- Reha: Entsprechende Rehabilitationsmöglichkeiten werden zur Linderung von Fatigue ebenso genannt. Rehas können ambulant sowie stationär durchgeführt werden und bestehen meist aus einer therapeutischen Verbindung seelischer und körperlicher Maßnahmen.
Welchen Verlauf nimmt Fatigue (Prognose)?
Welchen Verlauf Fatigue nimmt, hängt zum Großteil von individuellen Faktoren und den Ursachen für das Syndrom ab. Zahlen aus den Niederlanden beispielsweise zeigen, dass 86% der Patient:innen, die mit dem Thema Müdigkeit in eine allgemeinmedizinische Praxis kamen, Behandlungsepisoden von unter vier Wochen durchliefen. Bei der Hälfte der Betroffenen bleibt die Müdigkeit jedoch bestehen, allerdings in einem geringeren Ausmaß. Tritt die Müdigkeit als Begleiterscheinung eines Infekts auf, so wird sie für gewöhnlich im Verlauf der Erkältung ebenso abnehmen. Bei Fatigue im Zuge einer chronischen Erkrankung wie beispielsweise Krebs kann das Syndrom allerdings auch über Jahre hinweg anhalten. Zahlen der Deutschen Fatigue Gesellschaft zeigen, dass fünf Jahre nach der Diagnose von Fatigue 60 % der Betroffenen auch einer Beschäftigung nachgehen können.
Ist Fatigue heilbar?
Fatigue ist ein Sammelsurium von Symptomen, das im Zuge von verschiedenen Erkrankungen auftreten kann. Fatigue selbst gilt also nicht als eigenständige Krankheit. Somit kann sich die Frage nach der Heilbarkeit nicht stellen. Anders gelagert ist das bei Fatigue, wenn das Syndrom in Form einer eigenständigen Erkrankung auftritt. Dann spricht man jedoch vom sogenannten Chronischen Fatigue Syndrom (CFS). Eine Verbesserung der Symptome von CFS ist durchaus möglich, eine vollständige Heilung ist allerdings bisher selten berichtet.
Quellen:
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, ICD-10 BMSGPK 2022 – Systematisches Verzeichnis, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision – BMSGPK-Version 2022+ (1. Jänner 2022)
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Müdigkeit, S3-Leitlinie, AWMF-Register-Nr. 053-002 DEGAM-Leitlinie Nr. 2 (2022) (abgerufen am 15.06.2023)
Alessa Klingebiel, Das unsichtbare Symptom (abgerufen am 15.06.2023)
deutsche-fatigue-gesellschaft.de, Diagnose (abgerufen am 15.06.2023)
Lynn A Burnes, Sandra J Kolker,Jessica F Danielson, Roxanne Y Walder, Kathleen A Sluka, Enhanced muscle fatigue occurs in male but not female ASIC3-/- mice (abgerufen am 15.05.2023)
mecfs.de, Daten & Fakten zu ME/CFS (abgerufen am 15.05.2023)
Global Burden of Disease Long COVID Collaborators, Estimated Global Proportions of Individuals With Persistent Fatigue, Cognitive, and Respiratory Symptom Clusters Following Symptomatic COVID-19 in 2020 and 2021 (abgerufen am 15.05.2023)
apotheken.de, Blutarmut (abgerufen am 15.05.2023)
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